Digital intoxication
Die Digitalisierung geht Sie nichts an, Sie fühlen sich nicht angesprochen? Es gibt tatsächlich heute noch Menschen – sogar in Deutschland – die behaupten, dass sich das Internet nicht durchsetzen wird. Aber ist es nicht so, dass die digitalen Themen von uns Besitz ergreifen, ob wir nun wollen oder nicht? Der im Berliner Raum aus dem Radio bekannte Professor Oliver MacConnell (BWL und Modemanagement) drückte sich in seinem wöchentlichen Beitrag so aus, dass Sie sich den digitalen Themen nicht verwehren können, man kann nur die Dosis im realen Leben bestimmen. Wobei das Digitale durchaus real ist, es findet nur woanders statt.
Wie bereits Paracelsus im 15. Jahrhundert wusste, macht die Dosis das Gift. Aber wann wird es gefährlich? Welche Apps sind auf dem Smartphone wirklich sinnvoll, brauchen wir zwei verschiedene Wetterberichte oder sind beide am Ende wenig zuverlässig? Das Gehirn scheint sich jedenfalls an die ständige Verfügbarkeit von immer gleichen Informationen angepasst zu haben. Der zwanzigste Blick auf die WetterApp ist wenig sinnvoll, wenn man die Gewitterwolke am Himmel stehen sieht. Oder ist es die Hoffnung auf Regen, welche uns immer wieder ins Orakel zurückführt?
Im Beruf können spezifische digitale Helferlein durchaus sinnvoll sein, als Beispiel dient die relativ komplexe Einstellung des Düngerstreuers. Die App zeigt Schritt für Schritt die Inhalte an und führt den Nutzer zu den gültigen Einstellungsparametern der jeweiligen Maschine und auch für die manuelle Überprüfung per Schalenset gibt es Hilfestellung vom Smartphone. Aber hat nicht ein junger Briefausträger den Faden verloren, wenn er einem 90-Jährigen erklären will, dass man jetzt Briefmarken durch einen von der App generierten sechsstelligen Code ersetzen kann. Der Opa hatte nicht mal ein Handy. Diese Dosis bringt mich jedenfalls um den Verstand. Inzwischen gibt es nicht nur digitale Postkarten, auch digitale Währungen sind auf dem Markt und werden von vielen Geschäftspartnern anerkannt. Die Zeiten, dass eine Münze dem jeweiligen Edelmetallwert entspricht, welcher in der Münze steckt, sind schon seit der Verbreitung des Papiergeldes vorbei. Warum sollte man also ausgerechnet mit digitalen Währungen skeptisch sein, wenn man seit Jahren mit der Karte bargeldlos bezahlt. In Zeiten einer steigenden Inflation muss es auch Chancen geben.
Aber zurück zur Landwirtschaft, die Digitalisierung trägt eine Reihe von Chancen in sich, welche bereits heute genutzt werden können. Der digitale Aktenschrank ist keine wirkliche Verbesserung, aber zum Beispiel Prognosemodelle sind echter Fortschritt, denn diese erlauben die Betrachtung der Zukunft in Abhängigkeit bestimmter Unsicherheiten. Je weiter der betrachtete Zeitraum von der Gegenwart entfern ist, desto schwieriger wird die Vorhersage. Vor drei Jahrzehnten kannte die gesamte DDR die ideale Kombination von Betriebsmitteln für den erreichten Ertrag, aber immer erst nach der Ernte. Der Fortschritt der Prognose liegt in der Verschiebung der Zeitachse direkt zum Zeitpunkt der Entscheidung innerhalb der Vegetation (also vor der Ernte). Kleine Schritte sind bereits bei den Agrarmeteorologen zu erkennen, eine sichere, sechswöchige Vorhersage des Wetters (Temperatur, Strahlung, Niederschlag) ließe die Entscheidung über eine Qualitätsdüngung Ende Mai leichter fallen, wenn man diese Daten mit den Bodenwasserparametern (Niederschlagspuffer) verschneiden würde und daraus eine Ertragsprognose ableiten könnte. Natürlich wäre die Ableitung einer teilflächenspezifischen Applikationskarte die Königsklasse. Bisher müssen wir uns mit Temperatur- und Niederschlagsanomalien für Mitteleuropa abfinden. Aber trotzdem ist es Zeit, sich schon jetzt mit diesen Themen zu befassen, um bei der Interpretation der Informationen Erfahrung zu sammeln, denn von Hoffnung auf Regen kann man leider keine Rechnungen bezahlen.
Sie meinen, die Erfahrung des Betriebsleiters ist durch nichts zu schlagen? Sie kennen Ihre langjährigen Erträge? Leider ist das Wetter von Jahr zu Jahr auf ihren Feldern so verschieden wie die Klimadiagramme von Stockholm und Madrid und damit auch das erreichbare Ertragsniveau. Bei den aktuellen Preisen kann man ein ständiges Vorhalten des Betriebsmitteleinsatzes auf Durchschnittsertrag bei den Wetterkapriolen nicht durchhalten. Auf der anderen Seite müssen wir die Chance eines idealen Vegetationsverlaufes für die Ertragsbildung in vollem Umfang nutzen, um der Abwärtsspirale (Düngebedarfsermittlung) Einhalt zu gebieten.
Abschließend ist es ratsam, die mit Zeit verschwenderisch umgehenden Apps aus dem Leben zu verbannen und nur diese zu behalten, welche zu einem Vorteil führen, ein wenig Unterhaltung sei gegönnt.